Samstag, 24. August 2019

Autoren-Feedback zu unseren Kommentaren zu "Nach Ohio"

Hurra, ein Novum. Benedikt Meyer, der Autor von "Nach Ohio", hat unsere Diskussionen auf Twitter mitverfolgt und uns einen ausführlichen Kommentar dazu geschickt. Herzlichen Dank dafür!




Lieber Twitter-Lesezirkel

Ihr wisst ja gar nicht, wie erfrischend es ist, auch kritisches Feedback zu erhalten. Das direkte Umfeld besteht ja leider aus vorwiegend netten Leuten, die Presse behandelt Debütanten wohlwollend und zu Lesungen kommen Leute, die das Buch noch gar nicht gelesen oder es toll gefunden haben. Kritik hat’s also gar nicht so leicht, bei mir anzukommen. Darum sind Lesezirkel für mich echt eine Entdeckung. Und darum finde ich es so spannend, bei Euch reinzulesen.

Was mich überrascht: Ich hatte noch nie grundsätzlich Diskussionen. Alle sehen dasselbe Buch mit denselben Eigenschaften. Die können objektiv gut oder schlecht sein, zu grossen Teilen hängt die Beurteilung aber auch einfach vom Betrachter ab. Dass ich gern Theater lese und ungern Lyrik, sagt eher etwas über mich aus, als über Lyrik und Theater.

In Eurer Diskussion sind verschiedene spannende Punkte aufgekommen und auf ein paar gehe ich gerne ein. «Ein Schicksal von vielen» hiess es etwa, «kein Pageturner» oder «arm an Höhepunkten». Da bin ich mit allem einverstanden. Es gibt wirklich viele ähnliche Schicksale und für einen Pageturner reicht die Geschichte einfach nicht aus. Reale Leben sind oft etwas langweilig. Meins gäbe auch keinen Krimi (und das ist mir auch recht).

«Ich hab’s gern gelesen, aber es ist kein Roman», sagte ein Teilnehmer eines Lesekreises in Bottmingen. Daran musste ich denken, als Patrick schrieb, «Man muss es als Forschungsbericht lesen». Ein valider Punkt. (Der Lesekreisleiter meinte daraufhin übrigens: «Die Verleger schreiben heute ja auf alles Roman, das verkauft sich am besten»).

Besonders amüsiert/erleichtert war ich aber über Jasmins Kommentar: «Ich hätte ihm jetzt auch unterstellt, dass er das Buch in erster Linie für sich geschrieben hat und nicht für die grosse Leser-Masse». Endlich sind wir emanzipationstechnisch soweit, dass man auch männlichen Autoren unterstellen kann, sie schrieben primär fürs eigene Tagebuch! Aber im Ernst: Jede/r schreibt fürs Publikum. Ob man es auch erreicht, ist wieder eine andere Frage.

«Vielleicht ist das Problem, dass er als Historiker an die Sache herangeht» ergänzte Madeleine. Nun, ob das ein Problem ist, ist eine Geschmacksfrage, aber es ist sicher ein Fakt. Mir persönlich würde ohne den historischen Kontext etwas fehlen. Ausserdem kann ich auch nicht aus meiner Haut. Am Ende hatte ich Angebote von zwei Verlagen. Der eine sagte: «Das Manuskript ist gut, aber es muss noch romanhafter werden!» Die hätten die Gegenwartsebene und die Kontextinfos gestrichen. Der andere sagte: «Das ist mal was anderes, das finden wir interessant.» Ich habe mich für den zweiten entschieden. (Ihr seht übrigens, dass wir da wieder bei der Frage sind, wie man das Buch lesen muss und ob es überhaupt ein Roman ist.)

Eine ganz andere Debatte drehte sich um Wahrheit und Fiktion. «Mich hat gestört, dass ich schlecht einschätzen konnte, was passiert ist und was erdichtet wurde.» hiess es da und: «Diesbezüglich lässt uns der Autor am Ende dann im Regen stehen mit seinen Schlussbemerkungen». Die erste Aussage nehme ich primär mal als Kompliment. Es steckt einige Arbeit dahinter und meist habe ich auch nicht einfach erfunden, sondern aufgrund von Indizien spekuliert. Und manchmal habe ich auch historische Fakten in der Zeit oder im Raum leicht verschoben, um ein dichteres Bild von Stephanies Zeit zu erzeugen.

Letztlich ist es wohl so: Wird ein realer Stoff mit Erfundenem angereichert, kann man entweder Transparenz schaffen (zB. indem Quellengestütztes kursiv gesetzt wird) oder man verwischt die Spuren. So gesehen war ich mit den Bemerkungen am Ende inkonsequent. Ich öffne da einen Spalt zum Maschinenraum meiner Arbeit. Manchen genügt das, andere sagen, sie hätten das lieber nicht gesehen und dritte möchten den ganzen Raum erkunden. Ich verstehe alle Positionen - keine Ahnung, ob ich das heute nochmal gleich lösen würde.

Ein weiterer Kommentar hatte ebenfalls mit der Machart zu tun: «Das Aneinanderreihen von Geschäften in Defiance». Die Szene ist ein Pingpong mit der Erzählerebene: Weil’s das Adressbuch gibt, kann man in die Perry Street eintauchen. Das kann man als Leser nun toll finden, weil man weiss, dass da nun eben nicht bloss aus den Fingern, sondern aus eine Quelle gesogen wird. Oder man kann es langfädig finden – beides ist völlig okay.

Verzeiht, wenn ich auf die positiven Rückmeldungen nicht gross eingehe. Zu Lob gibt’s leider einfach nicht sehr viel Spannendes zu sagen. Ausser natürlich: herzlichen Dank!

«Nach Ohio» wird keine Literaturpreise gewinnen. Und wenn man die Sprache nicht mag oder gerne weiss, was genau erfunden ist, oder zwei Zeitebenen doof findet oder lieber Pageturner liest, dann ist es nicht das perfekte Buch. Manche mögen es, andere nicht. Insgesamt sind die Kritiken positiv, die Berner Zeitung druckt es gar als Fortsetzungsstory und bei den Lesern kommt es so gut an, dass es das meist- oder zweitmeistverkaufte im Frühlingsprogramm des Verlags ist. Und trotzdem darf es einem auch überhaupt nichts sagen. Ich selbst habe auch schon sehr gute Bücher sehr schlecht gefunden, weil ich sie für die Schule lesen musste, weil’s grad nicht mein Thema oder nicht mein Stil war oder weil’s zwischen mir und dem Buch halt einfach nicht gefunkt hat. Und ich habe schon sehr schlechte Bücher fantastisch gefunden, weil’s umgekehrt war.

Ich bedanke mich fürs Lesen und die interessanten Kommentare und wünsche Euch weiterhin viel Vergnügen bei Euren Lektüren und viele lustige Debatten auf Twitter!

Herzlich,
Benedikt Meyer

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